Die Bundestraße 8

Diese Straße war einst der historische Handelsweg zwischen Frankfurt und Köln (Messen). Gesäumt von (Raubritter-)Burgen, deren Herren vom Handel profitierten.Einst bedeutete der Verlauf wichtiger Straßen durch Orte einen (bescheidenen) Wohlstand für diese Gemeinden: Zölle, Gasthäuser, Pferdewechselstationen.

Heute aber wünschen viele Städte und deren Bewohner diese Straßen vor ihre Mauern. Mit der allgemeinen Motorisierung und der sprunghaften Verbreitung privater Kraftfahrzeuge stiegen auch die Belastungen für die Städte und deren Bewohner: Lärm, Abgase, gewachsene Orte werden zerteilt, ein Überqueren der Straße ist - vor allem für Kinder - schwierig und gefährlich.

Zwar hat fast jeder ein Auto, doch wünschen viele, daß der Verkehr der Anderen weit entfernt von der eigenen Haustür fließt. Um die Orte vom Durchgangsverkehr zu entlasten, werden Umgehungsstraßen gebaut. Diese belasten wiederum andere Anwohner und/oder bringen meist einen erheblichen Eingriff in die Natur mit sich. Dies führt zu heftigen Auseinandersetzungen. Die Kontroverse besteht zwischen der Belastung der Straßenanwohner und den Pendlern im Stau einerseits und dem Versuch, speziell im hochbelasteten Rhein-Main-Gebiet ein Stück Natur für die Menschen zu erhalten.

Wenige Kilometer hinter dem Main-Taunus-Einkaufszentrum endet kurz vor Kelkheim die vierspurig ausgebaute Bundestraße 8. Schon Verkehrsminister Georg Leber hatte den Anwohnerstädten versprochen, daß der Weiterbau der Straße in Richtung Feldberg noch vor den Olympischen Spielen in München fertiggestellt ist. Leber ist längst nicht mehr Minister und die Spiele sind längst vorbei - doch die Straße ist immer noch nicht gebaut.

Diese knapp acht Kilometer lange Strecke sollte vierspurig in Richtung Feldberg führen. Die neue Straße hätte wertvolle Biotope, intakte Wälder und beliebte Naherholungsgebiete durchschnitten, Kaltluftströme beeinträchtigt, usw. Mehrere zehntausend Bäume hätten gefällt werden müssen. Die Straße wäre nie auf natürlichem Niveau sondern stets entweder in Bergeinschnitten oder auf aufgeschütteten Dämmen verlaufen.

Reste des von 1979 bis 1981 besetzten
B-8-Damms im Juni 2000

Mitte der siebziger Jahre entstanden in den beiden an die geplante Strecke angrenzenden Städten Kelkheim und Königstein Bürgerinitiativen, die sich vehement gegen dieses Straßenprojekt zur Wehr setzten. Im Mai 1979 besetzten junge Leute aus Königstein und Kelkheim im Liederbachtal nahe des beliebten Ausflugsziels "Rote Mühle" einen bereits für die geplante Straße aufgeschütteten Damm und errichteten dort ein Hüttendorf. Dieses Hüttendorf diente auch den späteren Bewohnern des Hüttendorfs an der Startbahn West als Vorbild. Auch das Dorf gegen das Atommüllager Gorleben entstand nach dem Hüttendorf im Taunus. Mit Zollstock waren seinerzeit Vertreter der Anti-Startbahn-Bürgerinitiativen angerückt, hatten die Hütten vermessen und teilweise nachgebaut, so daß die vorgefertigten Bauteile schnell zusammengefügt werden konnten.

Parallel zu dem Widerstand vor Ort auf dem Damm entstanden in den benachbarten Städten ökologische Wählergemeinschaften, in denen auch Mitglieder der Bürgerinitiativen und Vertreter der "Damm-Besetzer" arbeiteten: Diese zogen 1981 zum Teil mit Ergebnissen von mehr als 20 Prozent in die örtlichen Stadtparlamente. Bis zu diesen Wahlen waren die örtlichen Politiker und die Entscheidungsträger in Wiesbaden davon ausgegangen, daß die geplante Umgehungsstraße von der Bevölkerung einhellig gefordert wird.

Ohne Strom und fließendes Wasser entwickelte sich in dem Hüttendorf eine naturverbundene Gemeinschaft. An Wochenenden wurde das Dorf zu einem Ausflugsziel. Viele Bürger waren von der Ernsthaftigkeit der jungen Leute beeindruckt, die dort unter sehr bescheidenen Verhältnissen lebten und Wind und Schnee trotzten. Erst nach zwei Jahren endete dieses Experiment (Form des Zusammenlebens, gewaltfreie Form des Widerstands). Unmittelbar nach der Ermordung des seinerzeitigen hessischen Wirtschaftsministers Karry wurde das Hüttendorf im Frühjahr 1981 geräumt.

Neben dem Widerstand der Menschen vor Ort haben auch gerichtliche Auseinandersetzungen, die Finanznot des Bundes und die zwischenzeitliche Beteiligung der Grünen an der Hessischen Landesregierung dazu beigetragen, daß die Straße bis heute nicht gebaut ist. Da die Kassen des Bundes nach wie vor leer sind, werden die betroffenen Städte Königstein und Kelkheim die Planungskosten von mindestens 600.000 Mark vorfinanzieren. Diese Planungsphase mit Trassenfestlegung, Planung, Umweltverträglichkeitsgutachten, Erörterungstermin und Planfeststellungsbeschluss wird mindestens zwei Jahre dauern. Anschließend sind möglicherweise Klagen von Umweltverbänden zu erwarten.

Aber selbst eine von allen gewollte Straße müsste bezahlt werden. Im Bundesfernstraßenplan sind 68 Millionen Mark eingeplant - ein nach Ansicht von Umweltschützern viel zu geringer Betrag. Der Bund hat nicht nur leere Kassen sondern auch viele weitere Straßenprojekte im gesamten Bundesgebiet. Und wenn man nicht auf einem der Königsteiner oder Kelkheimer Kirchtürme steht, dann erscheinen wahrscheinlich viele Straßenprojekte im gesamten Land dringlicher - und auch umweltverträglicher. (3/2000)

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